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Das Außenlager des KZ-Natzweiler in Cochem/Mosel mit seinen Lagern in Bruttig und Treis

– eine Internet-Dokumentation zum Gedenken an die Opfer – zur Information für die Heutigen –


Das Schönste, das besteht, ist ein Mensch, der geht auf dem Weg an dem anderen Ufer der Mosel.
Es gibt nicht Schöneres als ein Mensch, der geht. Es gibt nichts Schöneres als ein Baum, der blüht außerhalb des Stacheldrahtes.

Nikolai Pita, ukrainischer Häftling im KZ Außenlager Cochem, Nebenlager Treis

 


„Mein Leben in den deutschen Gefängnissen und Konzentrationslagern ist eine dauernde Steigerung des Elends gewesen. Ich dachte, Natzweiler würde alles übertreffen, was man sich an Leiden und Entbehrung vorstellen kann. Aber ich hatte Treis - Bruttig noch nicht gesehen."

Bert Aerts, belgischer KZ-Häftling


Mosel-rechts-Karte

Das KZ Außenlager Cochem, rund 50 km moselaufwärts von Koblenz entfernt, entstand im März 1944 im Zusammenhang mit dem Ausbau des Eisenbahntunnels, der zwischen den Ortschaften Bruttig und Treis verlief und den Cochemer Moselbogen abkürzte. Der 2,8 km lange, ungenutzte Eisenbahntunnel mit einer Nutfläche von insgesamt 21.000 m², Teil der damals im Bau befindlichen rechtsseitigen Moselstrecke, sollte in kürzester Zeit zu einer bombensicheren, unterirdischen Fabrikhalle für die Verlagerung der Fertigung von Zubehör von Flugzeugmotoren der Firma Bosch ausgebaut werden. Das mit "A7" oder mit dem Decknamen "Zeisig" versehene Bauvorhaben fiel in die Kompetenz von SS-Brigadeführer Hans Kammler, der für den Ausbau gigantische Mengen von Baustoffen veranschlagte: 550 Tonnen Baueisen, 275 Tonnen Maschineneisen, 145 Festmeter Rundholz, 610 Kubikmeter Schnittholz, 1500 Tonnen (!) Zement und 200.000 Ziegelsteine. Das Gesamtbauvolumen betrug dreieinhalb Millionen Reichsmark. Die Durchführung der Bauplanung, sowie die Bauleitung wurde dem Architekturbüro Heese in Berlin und dort federführend dem Dipl. Ing. Remagen übertragen. Die ausführende Baufirma war die Firma Fix aus Dernau. Der Reichsbahntunnel wurde der Firma Bosch in Stuttgart zur Fertigung von Zubehör für Flugzeugmotoren zur Verfügung gestellt. Bereits im April 1944 zogen die ersten Bosch-Arbeiter in den Tunnel ein und begannen mit der Aufnahme der Produktion von Zündkerzen.

Tunnel PortalDie Gesamtleitung des Projektes „A7" oblag dem SS Führungsstab, dessen Büro sich in einem Hotel (Germania) der Stadt Cochem befand. Chef war der SS Hauptsturmführer Gerrit Oldeboershuis, genannt Oldenburg, sein Stellvertreter SS Untersturmführer Karl-Heinz Burckhardt. Insgesamt gehörten dem Führungsstab 18 Personen an: Zivilangestellte, Luftwaffeningenieure sowie technische Offiziere und Mannschaften der Waffen-SS. Ein Problem stellte zunächst die mangelhafte Zahl an Arbeitskräften dar, die dieses umfangreiche Großprojekt realisieren sollte. Doch die SS bot sich bereitwillig an, zu genüge Arbeitskräfte zu „liefern". Die Konzentrationslager boten hier eine scheinbar unerschöpfliche Quelle für „Menschenmaterial".

Menschen aus fast ganz Europa wurden als KZ-Häftlinge an die Mosel verschleppt und zur Zwangsarbeit herangezogen: Franzosen, Belgier, Luxemburger, Holländer, Norweger, Polen, Ukrainer, Russen, Griechen, Italiener, Spanier und einige Reichsdeutsche. Die meisten waren politische Häftlinge oder Kriegsgefangene. Viele trugen die Bezeichnung „AZA" , was verharmlosend für „Ausländische Zivilarbeiter" stand. Einige, besonders Deutsche, waren als „Kriminelle" eingestuft. Tatsächlich wurden alle nur zu einem Zweck an die Mosel gebracht: zur „Vernichtung durch Arbeit". Zu ihrer Bewachung wurde ein Kommando von Angehörigen der Luftwaffe nach Cochem beordert.



„Die Häftlinge wurden am Cochemer Bahnhof ausgeladen und dann über die Brücke durch Cond die Mosel hinauf nach Bruttig getrieben. Das habe ich gesehen. Das hat jeder gesehen. Endlose Kolonnen waren das."

ein damals 16-jähriger Junge aus Cochem-Cond


Struthof

Originalfoto aus dem KZ Natzweiler 1944/45

Die Eröffnung des KZ Außenlagers Cochem

Am 10. März 1944 trat der SS Obersturmführer Rudolf Beer mit 300 überwiegend französischen KZ-Häftlingen im elsässischen Konzentrationslager Natzweiler-Struthof eine Zugreise an, die für viele Häftlinge die letzte werden sollte. Der belgische Gefangene Bert Aerts gehörte dem Transport an. Er überlebte das KZ Natzweiler und dessen Außenlager Cochem. Nach dem Krieg berichtete er über seine Deportation. Er erinnerte sich an die Abfahrt der ersten 300 Häftlinge von Natzweiler nach Cochem:

„Wir wurden zu ein paar Hundert in Zellenwagen geladen. Man warf uns aufeinander, wie schmutzige Leinentücher. Als der Wagen schon übervoll war, wurden immer noch mehr hinzu geladen. Das ging so: ein Häftling wurde rückwärts gegen das nach Luft schnappende, röchelnde Menschenknäuel hineingedrückt. Ein SS-Mann setzte seinen Stiefel dem Kerl auf den Bauch und in kürzester Zeit war der auch drinnen. Die Fahrt war schrecklich. Die Leute hingen mitten im Wagen. Am Bahnhof von Rothau wurden wir in Viehwaggons geladen. Glücklicherweise lag darin ein wenig schmutziges Stroh."2

Der SS-Obersturmführer Rudolf Beer gab lange Zeit später, im Jahr 1968, vor der Staatsanwaltschaft Koblenz über den Transport lapidar zu Protokoll: „Die Häftlinge und auch die Wachmannschaften waren diszipliniert."3

Transport

Über Straßburg und Koblenz erreichte der Zug in den frühen Morgenstunden den Bahnhof des Moselstädtchens Cochem. Ein damals 16-jähriger Junge aus Cochem-Cond beobachtete die Ankunft der Häftlinge: „Die wurden am Cochemer Bahnhof ausgeladen und dann über die Brücke durch Cond die Mosel hinauf nach Bruttig getrieben. Das habe ich gesehen. Das hat jeder gesehen. Endlose Kolonnen waren das."4
Auch Bert Aerts erinnert sich an seine Ankunft und die seiner Kameraden: „Cochem, ein malerisches Moseldorf. Die Aussicht war prachtvoll. Hoch oben auf dem Berg eine Burg. Am anderen Ufer der Mosel standen deutsche Menschen und gafften, einfach aus Neugierde."5
Nach eigenen Aussagen war dem SS-Obersturmführer Rudolf Beer, der als Lagerführer mit den ersten Häftlingen in Cochem eintraf, bei einer Besprechung mit dem Kommandanten des KZ Natzweiler-Struthof, SS Sturmbannführer Kramer, zugesichert worden, dass in den Ortschaften Bruttig und Treis die Vorbereitungen zur Eröffnung der Außenlager bereits getroffen seien. Rudolf Beer aber gab zu Protokoll:
„Entgegen der Zusicherung des Lagerkommandanten in Natzweiler war nichts vorbereitet gewesen. Die Zustände möchte ich als katastrophal bezeichnen."6

Immerhin war der Bruttiger Bürgermeister über die Errichtung eines KZ Außenlagers in seiner Gemeinde informiert worden. Er begrüßte die ankommenden SS Führer und bot Beer an, er könne in seinem Privathaus wohnen. Beer zog es jedoch vor, sich im Gasthof Hess einzuquartieren, in dessen Gasträumen er auch sein Büro einrichtete. Zur Unterbringung der Häftlinge ließ er das Gasthaus Schneiders, das heute „Zum guten Onkel" heißt, requirieren, einen Stacheldrahtzaun um den Gebäudekomplex ziehen und die Hälfte der Gefangenen in den Tanzsaal und die Kegelbahn der Gastwirtschaft sperren. Die übrigen 150 Häftlinge mussten am nächsten Tag über den Bergrücken nach Treis marschieren, wo sie in gleicher Weise im Saalbau des Hotels Wildburg einquartiert wurden. Damit war das KZ Außenlager Cochem, wie die amtliche Bezeichnung lautete, eröffnet.

Josef Kramer

SS Hauptsturmführer Kramer war auch oberster Chef der 72 Außenlager des KZ Natzweiler, so auch von Bruttig und Treis.

In Natzweiler fungierte er zunächst als Schutzhaft-lagerführer (April 1941 – Mai 1942), ab Februar wirkte er als kommissarischer Kommandant, bevor er im Mai 1942 dort Lagerkommandant wurde. In diesem Lager ließ er jüdische Gefangene vergasen, um die berüchtigte „Schädel- und Skelettsammlung" des Anatomieprofessors August Hirt an der Reichsuniversität Straßburg zu vervollständigen.

Kramer wurde nach dem Krieg von den Briten festgenommen und vom britischen Militärgericht wegen seiner entsetzlichen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Tode verurteilt. Im Dezember 1945 wurde er in Hameln gehängt.


 


„Unter den Außenkommandos war Cochem eines der schrecklichsten."

Dr. Ragot, französischer KZ-Häftling


Alltag im Lager Cochem: Knochenarbeit und Hunger

Bereits am Tag nach ihrer Ankunft mussten die Häftlinge zum ersten Mal in den Tunnel einrücken. Sie fanden ein völlig verwahrlostes, gigantisches Erdloch vor, das sie vom Mist und Schlamm räumen mussten, den Überresten einer Champignonzucht, die bis Anfang der vierziger Jahre in dem Tunnel betrieben worden war.
Bert Aerts berichtet: „Wir standen bis zu Bauch in einem klebrigen, stinkenden Brei um kleine Loren zu füllen".7

Eine Bruttiger Zeitzeugin erinnert sich: „Die Gefangenen kamen manchmal pudelnass aus dem Tunnel zurück. Sie hatten nichts um sich umzuziehen und mussten sich mit den nassen Kleidern zum Schlafen hinlegen".8

Ein Teil der Häftlinge wurde beim Aufbau der KZ Lagerbaracken in Bruttig und Treis eingesetzt. Die Lager entstanden auf den Bahndämmen, im Volksmund „Auf der Kipp" genannt, weil hier beim Bau der Dämme der Tunnelaushub aufgekippt worden war. Andere Häftlinge verrichteten Verladearbeiten auf den Bahnhöfen Cochem, und Karden bei Treis oder halfen beim Ausbau von Wegen, um die Zufahrten zu den Tunnelportalen sicherzustellen.

Auch für die Verpflegung der Häftlinge waren in Bruttig und Treis keinerlei Vorbereitungen getroffen worden. In provisorisch aufgestellten Gulaschkanonen wurden magere Suppen zubereitet. Die Zeitzeugin: „Vom Bahndamm aus konnte ich in den Hof schauen. Die Gefangenen mussten rund gehen und jeder hat einen Schlapp Essen in sein Schüsselchen bekommen. Davon konnten sie nicht satt werden. Wer sich ein zweites Mal vordrängte, wurde verprügelt ".9

Francois Guérin Die Häftlinge waren gezwungen, sich von Kräutern und Gras zu ernähren, obwohl dies unter Androhung von Strafe verboten war. Ebenso verzehrten sie Schnecken, die sie am Wegrand fanden. Sie stichelten die Schnecken aus ihren Häusern und schlürften sie roh herunter. „Eine Schnecke, und du bleibst wieder einen Tag auf den Beinen", empfahl der französische Häftling und Arzt Dr. Chazette seinem Lagerkameraden Bert Aerts.10 Aufgrund der schlechten Ernährung brach im Lager die Ruhr aus, eine Durchfallerkrankung, von der fast alle Häftlinge betroffen waren. Zur Verrichtung ihrer Notdurft stand den einhundertfünfzig Häftlingen in Bruttig nachts zeitweise nur ein einziger Eimer zur Verfügung, der aus Schikane nur einmal am Tag, morgens, ausgegossen werden durfte.

Im Frühjahr 2006 kehrte Francois Guérin an die Orte seiner Leiden zurück. Er war einer der ersten 300 NN-Häftlinge die unter dem Kommando der SS Obersturmführer Rudolf Beer nach Cochem deportiert worden waren. Er war dem Arbeitskommando Treis zugeteilt gewesen. Auf dem Portaitfoto steht er an der Stelle, wo sich das Treiser Tunnelportal befand. Die Gruppe mit Guérin befindet sich an der Stelle des ehemaligen Hotels Wildburg in Treis, in dem sich das provisorische Lager befand.

Francois Guerin 01 2006 Kopie

 


Vom Tode gekennzeichnet: Die Rückkehr der NN-Gefangenen nach Natzweiler

Anfang April kam aus Natzweiler der Befehl: Die Häftlinge in den Lagern Bruttig und Treis müssen in das KZ Natzweiler zurückgebracht werden! Der Lagerkommandantur in Natzweiler war erst jetzt klar geworden, dass sie versehentlich so genannte „NN Häftlinge" in das Außenlager Cochem geschickt hatte. NN stand für „Nacht und Nebel". Mit NN wurden jene Häftlinge bezeichnet, die wegen ihrer Einlieferungsgründe in das KZ fast keinen Schutz mehr für Leib und Leben genossen. Meist handelte es sich um Widerstandskämpfer, die im Zuge der berüchtigten „Nacht-und-Nebel-Aktionen" der Deutschen in das KZ Natzweiler verschleppt worden waren. Viele von ihnen wurden dort „ohne Hinterlassung von Spuren" oft noch in der Nacht ihrer Ankunft getötet. Jene aber, die diesem Schicksal entgehen konnten, waren furchtbaren Schikanen und Folterungen ausgesetzt. Sie durften wegen ihrer „Gefährlichkeit" nicht in den Außenlagern eingesetzt werden, sondern nur in einem eigens für sie eingerichteten Sonderkommando in Natzweiler arbeiten. Viele Cochemer NN-Häftlinge hatten nach den vier Wochen in den Mosellagern den Tod gefunden. Siebzehn Leichname wurden auf dem Bruttiger Friedhof verscharrt, andere zur Verbrennung ins Mainzer Krematorium gebracht. Einige Häftlinge überlebten die Strapazen der Zugfahrt zurück nach Natzweiler nicht. Sie fielen bei der Ankunft tot aus dem Bahnwaggon oder starben wenige Tage später im KZ Natzweiler an den Folgen von Unterernährung und Folter.

Ein Natzweiler-Häftling, der die Ankunft der Cochemer Häftlinge miterlebte, erzählte nach seiner Befreiung: „Am Ostersonntag erlebten wir die Rückkehr der Franzosen, die wenige Wochen zuvor nach Cochem abgefahren waren. Ich habe viele schreckliche Sachen gesehen, aber das war meine erste alptraumhafte Erscheinung. Die weniger Kranken stützten oder trugen richtige Skelette, nackt, bedeckt mit grünlichen Exkrementen, Skelette, die nichts menschliches mehr an sich hatten".11 Unter den Außenkommandos war Cochem eines der schrecklichsten. In einem Monat starben in Cochem vierzig von 150 Franzosen.


„...genau, wie man den Herrgott zum Kreuz geführt hat."

eine Bruttiger Zeitzeugin


Sadistische Quälereien und Hinrichtungen von Häftlingen

Einen Tag bevor die französischen NN Häftlinge am 8. April Cochem wieder verließen, mussten sie dem schrecklichen Ende von sechs Kameraden beiwohnen. Diese hatten es gewagt, einen Fluchtversuch zu unternehmen, durch einen Schacht, der unter der Mosel hindurch führte. Am Karfreitag, nachmittags um 16.50 Uhr wurden in Treis Alexandre Martineau, Alexandre Norois, Pierre Clowez und in Bruttig Arthur Portier, Henri Douat und der erst 18-jährige Schüler André Chinier durch die SS hingerichtet.

Bert Aerts: „Am Karfreitag wohnten wir einer Kreuzigung bei. Zwei Häftlinge wurden mit den Armen am Ast eines Lindenbaumes aufgehängt. Wir standen stundenlang, ihrem Todeskampf zuzuschauen. An den Armen aufgehängt zu werden ist schrecklich. Ich verstand meinen Gottesdienst jetzt besser denn je. Es drang mir wie ein glühender Pfriem quer durchs Herz. Hier wurde Christus ein weiteres Mal gekreuzigt. Sie hingen dort stundenlang in schrecklichen Schmerzen. Als sie steif geworden waren und sich kaum noch bewegen konnten, zuckte einer der beiden wild auf und aus seiner Kehle kam das halberstickte Geröchel: 'Ich habe Durst'. Vor meinen Augen vollzog sich das ganze gewaltige Drama, das der Evangelist Markus kurz und markig so beschreibt: 'Und dann brachte man ihn auf eine Anhöhe und dann wurde er gekreuzigt und dann rief er: 'Ich dürste' und dann kam jemand herbeigelaufen mit einem Schwamm und etwas Essig drauf um ihn zu laben und dann stieß er einen Schrei aus, und dann war er tot. So spielte sich das ab, rudimentär, ohne Umstände. Ein Soldat zog seinen Revolver und schoss beide tot. Das sind die Dinge, die stets wieder bei mir zum Vorschein kommen, wenn ich die Deutschen so romantisch vom 'Lindenbaum' singen höre."13

Am 6. April 1944 traf in Cochem ein Transport mit 700 polnischen und russischen Häftlingen aus dem Konzentrationslager Maidanek bei Lublin ein. Sie sollten die abrückenden französischen Häftlinge ersetzen. Obwohl die "Neuen" bald in die Lagerbaracken "Auf der Kipp" umziehen konnten, wo die Lebensbedingungen nicht ganz so katastrophal waren wie in den umfunktionierten Hotels, organisierten die Russen Ende April einen Massenausbruch aus dem Lager in Bruttig. Während Rudolf Beer bei seiner Vernehmung am 26.7.68 angab, es seien insgesamt 60 Häftlinge an der Flucht beteiligt gewesen, lassen sich anhand der Lagerakten nur 21 Flüchtige nachweisen. Von denen konnten acht Häftlinge wahrscheinlich entkommen. Die 13 übrigen wurden in den folgenden Wochen in den nahen Wäldern der Moselberge und in den Ortschaften Valwiger Berg und Lütz entdeckt. Bei der Gefangennahme durch die SS spielten sich furchtbare Szenen ab. Auf dem Valwiger Berg wurde ein 17-jähriger Russe mit einem Spaten vor den Augen der Bevölkerung niedergeschlagen. Den Spaten hatte ein Ortsbewohner bereitwillig aus seinem Schuppen geholt und einem SS-Mann übergeben. In Lütz antwortete ein Bürger des Dorfes einem Häftling, der um einen Schluck Wasser gebeten hatte: „Wenn du Durst hast, kannst du die Mistepuddel saufen".14 (Mistepuddel = Jauche)

Die Bruttiger Zeitzeugin: "Die SS waren hinter den Gefangenen mit Hunden her, dass bloß keiner ausreißen konnte. Aber es sind trotzdem immer wieder welche ausgerissen. Die haben sie dann gesucht und wenn sie sie gefunden hatten, wurden sie im Galopp hier vorbei gebracht. Ich habe damals gesagt, das ist genau, wie man den Herrgott zum Kreuz geführt hat. Zwei SS gingen hinter den Gefangenen mit aufgepflanztem Seitengewehr und schweren Hunden. Die Gefangenen bluteten, die waren schon tüchtig geschlagen worden. Das ganze Gesicht war voll Blut gewesen. Da kann ich mich heute noch entsetzen drüber. 15

Der Massenausbruch wurde zum Anlass genommen, den Lagerführer Rudolf Beer, dem auch mangelnde Härte gegenüber den Häftlingen vorgeworfen wurde, durch den bereits in anderen KZ 's erprobten SS Obersturmführer Walter Scheffe zu ersetzen. Unter dessen Kommando, sowie der Beteiligung der Koblenzer Gestapobeamten Kriminalsekretär Friederich Schulze und Kriminalkommissar Jakob Wörsdörfer wurden die 13 wieder ergriffenen Russen exekutiert. Am Morgen des 20. Juni 1944 wurden gegen neun Uhr sieben der Häftlinge am Deckenbalken einer Halle des Treiser Lagers, eine Stunde später die sechs übrigen im KZ Bruttig an einem Balken, dessen Enden auf zwei Barackendächern aufgelegt waren, durch die Hand ihrer Kameraden erhängt, welche dafür zur Belohnung ein Stück Brot erhielten. Die Bruttiger Bevölkerung war durch ihren Ortsgruppenleiter dazu aufgerufen worden, sich am Lagerzaun einzufinden, um der Tötung der Häftlinge beizuwohnen. Die Zeitzeugin: „Es sind aber nur wenige dort hingegangen".16

Natzweiler

 
Die Aufnahme stammt aus der zweiten Hälfte der 1980er Jahre. Kurze Zeit später musste sie, wie alle noch existierenden Gebäude des ehemaligen Lagers Treis, einem Baumarkt weichen.

Der Lagerführer Walter Scheffe, der die Hauptverantwortung für die Exekutionen trug, wurde durch das Rastatt-Tribunal im Jahre 1947 zum Tode verurteilt. Kurz vor dem Exekutionstermin wurde er begnadigt. Ihn selbst und auch seine Familie ließ man bis zuletzt über Leben oder Tod im Unklaren. Das Strafmaß wurde einige Monate später in 20 Jahre Zuchthaus mit Zwangsarbeit umgewandelt und in den folgenden Jahren immer weiter herabgesetzt. Bereits Mitte der fünfziger Jahre wurde Walter Scheffe aufgrund zahlreicher Gnadengesuche aus dem Gefängnis in Wittlich entlassen. Noch in den 1990er Jahren lebte er als rüstiger Greis in Köln.

 

walter scheffe

 

Ein Familienangehöriger von Walter Scheffe berichtet im Jahr 2008, dass Scheffe während seiner Gefängnishaft in Wittlich schnell wieder an Einfluss gewonnen und Karriere gemacht hat. Bald war er Leiter der Schreinerei des Gefängnisses, wo er die Produktion anderer Gefangener beaufsichtigte. Sein Einfluss bei der Gefängnisleitung muss so groß gewesen sein, dass er auf Anforderung seiner Familienangehörigen Holzmöbel hat anfertigen lassen. Er verstand es auch, diese aus dem Gefängnis herausbringen und seinen Verwandten zukommen zu lassen.


„Ich habe immer nur den Zaun gesehen. Da waren ziemlich viele eingesperrt. Na ja, ich war damals vierzehn und Motorräder haben mich mehr interessiert."

Josef Jobelius, dessen Schulweg am Bruttiger Lagerzaun vorbei führte

 

 

 

Folter und brutaler Mord – Alltagsrealität in Cochem

Neben Häftlingstötungen waren Folterungen und Quälereien an der Tagesordnung. Nicht genug, dass die Häftlinge durch Faust- und Stockschläge zur Arbeit angetrieben wurden und auch unter dem Kommando von Walter Scheffe an Hunger litten; schon für leichte Vergehen wie Gras essen wurden die Häftlinge auf den Prügelbock geschnallt und erhielten Stockschläge. Dabei mußten sie die Anzahl der Schläge, die sie zu erwarten hatten, selber zählen. Verzählten sie sich, wurde wieder bei „eins" begonnen. Die sadistischen SS-Männer in Bruttig und Treis quälten und töteten sogar zum Spaß, zu ihrer persönlichen Unterhaltung. Eine „Belustigung" bestand darin, Weinflaschen auf dem Boden zu zertrümmern und Häftlinge barfuß durch den Scherbenhaufen laufen zu lassen. An Sonntagnachmittagen, wenn nicht gearbeitet wurde, konnten Dorfbewohner, deren Haus nahe am Lagerzaun stand, beobachten, dass die Häftlinge stundenlang nackt im Kreis über den Appellplatz laufen mussten. Eine Treiser Zeitzeugin, damals 16 Jahre alt: „Im Hotel Wildburg feierte die SS regelrechte Orgien. Verschiedene Frauen aus Treis gingen abends dahin. Das Hotel war deshalb berühmt und berüchtigt. Bei diesen Orgien wurden Häftlinge zum Spaß erhängt. Es wurde sich über das Verhalten der Sterbenden lustig gemacht."17 In der ehemaligen Folterbaracke des Bruttiger Lagers stempelt heute die Post. Häftlinge wurden dort mit einem Strick hinein geschickt und gezwungen, sich selbst zu erhängen.

 

Nur wenige haben Mitleid

Einige Dorfbewohner von Bruttig und Treis hatten Mitleid mit den geschundenen Kreaturen, die sie täglich vor ihrer Haustür vorbeiziehen sahen. Sie legten Obst oder Gemüse an den Straßenrand oder auf die Fensterbänke ihrer Häuser. Daran zu gelangen war für die Häftlinge jedoch lebensgefährlich. Die Wachleute hatten Befehl auf jeden sofort zu schießen, der aus der Reihe trat. Unter den Häftlingen kam es zu wilden Prügeleien eines Apfels wegen, den jemand an den Lagerzaun gelegt hatte. Ein Wachsoldat wurde selbst zum Häftling, weil er einem Russen eine Zigarette geschenkt hatte.

Ein anderer Wachsoldat, der Luftwaffen-Gefreite Rudolf Zseby, notierte am 10. September in sein Tagebuch: „Trotzdem es verboten ist, ist es mir eine Freude, den Häftlingen bei Gelegenheit Obst zukommen zu lassen".18

Die luxemburgischen Zivilarbeiter Johann Peter Wilwert und Wilhelm Braun, beide Arbeiter der Dernauer Baufirma Fix, wagten es, einigen italienischen Häftlingen Lebensmittel und Kleidungsstücke zu organisieren und ihnen diese auf der Baustelle im Tunnel zu übergeben. Sie wurden dabei gesehen und der SS gemeldet, die für die sofortige Bestrafung der beiden Männer sorgte. Von diesem Tag an marschierten sie in der Häftlingskolonne mit. In der Chronik der Pfarrei Tetingen in Luxemburg, dem Heimatort Wilwerts, ist nachzulesen: „Johann Peter Wilwert, 41 Jahre, hatte einem hungrigen Russen ein Stück Brot gegeben, kam dafür ins Konzentrationslager, wo er nach vielen Entbehrungen starb." 19 Wilhelm Braun starb Mitte der fünfziger Jahre an den Folgen seiner Deportation.


„Stand ein Galgen im Lager?" „Nein, an die Bäume wurden sie gehangen, an die Akazienbäume."

aus einem Gespräch mit einer Treiser Zeitzeugin

 

Kommandowechsel und Evakuierung des Lagers

Im Juli 1944 wurde der Lagerführer Walter Scheffe, weil „wichtigere Aufgaben"20 auf ihn warteten, durch den SS Untersturmführer Heinrich Wicker abgelöst. Unter seinem Kommando hatten nicht nur die Häftlinge, sondern auch das Wachpersonal zu leiden. Seiner disziplinarischen Maßnahmen und sinnlosen Strenge wegen war er bei seinen Untergebenen gefürchtet. Der erst 23-jährige Wicker wurde von einem Soldaten der Wachmannschaft später als ein „ausgesprochenes Schwein"21 charakterisiert. Er führte das Lager bis zur Evakuierung Mitte September 1944.

Der Luftwaffen-Gefreite Rudolf Zseby erinnert sich an die Evakuierung des KZ Außenlagers Cochem:
„14. September 1944. Bedingt durch die Kriegslage und die Anwesenheit der ca. 600 Häftlinge in Bruttig, scheint der Aufenthalt wohl als gefährdet angesehen zu sein. Plötzlich kam der Befehl, dass wir von hier wegkommen. Alles packen, und zwar sofort! Das Schwierigste und Unangenehmste war der Abtransport der Häftlinge. In einen Lastkraftwagen kamen je 50 Häftlinge und an jeder Ecke des Wagens ein Posten mit scharf geladenem Gewehr. Wir standen eng an die Wand gedrückt, dass es uns unmöglich war, auch nur ein Glied zu rühren. Wir waren vollständig von den Häftlingen eingekeilt. Die Sache war nicht ungefährlich. Dazu strömte ein furchtbarer Gestank von den Häftlingen aus."22

Die LKW's brachten die Häftlinge zum Cochemer Güterbahnhof, wo sie in Bahnwaggons umsteigen mussten. Der Transport begann am Freitagabend, den 15. September, nachdem die Gefangenen bereits eine Nacht und einen Tag zusammengepfercht in den Waggons verbracht hatten. Er führte in das KZ Nordhausen und von dort in das Lager Ellrich/Südharz, wo die Häftlinge schärfster Bewachung und schwerster Behandlung ausgesetzt waren.

Der Lagerführer Heinrich Wicker wurde Leiter der „SS-Kampfgruppe Wicker" im KZ Dachau, wo er sehr wahrscheinlich von den Amerikanern nach deren Einmarsch und Befreiung des Lagers erschossen wurde.

Der getötete Soldat ist wahrscheinlich Heinrich Wicker. Seinen Leichnam hat man auf einen Leichenberg vergaster
Dachauer Häftlinge geworfen, die in einem Raum zur Verbrennung gelagert waren.

Die Lager Bruttig und Treis erreichten am 24. Juli 1944 eine Gesamtbelegung von 1527 Häftlingen. Insgesamt wurden in dem halben Jahr vom März bis September 1944 mehr als 2000 Häftlinge dem Außenkommando Cochem zugeteilt. Nach den offiziellen Sterberegistern der Gemeinden Treis-Karden und Cochem-Land haben es 94 Häftlinge nicht wieder lebend verlassen.23 Im Urteil, gesprochen im Rastatt-Prozeß 1947 heißt es allerdings, „dass diese Zahl weit unter der Wirklichkeit liegt und dass es jetzt unmöglich ist, die wirkliche Zahl festzustellen, da die meisten Leichen ins Krematorium gebracht wurden".24

 

Kaum ein Erinnern, nur zögerliches Gedenken

Für viele Menschen an der Mosel hat es bis heute kein Erinnern an die Verbrechen im KZ Außenlager Cochem gegeben, an denen einige von ihnen direkt beteiligt waren. Jahrzehnte ohne merkliche Rückbesinnung auf geschehenes Unrecht sind vergangen. An die vorsätzliche Vernichtung überwiegend politischer Häftlinge und Kriegsgefangener durch Arbeit, Folter und Exekutionen fehlt das Gedenken.

Manche Politiker und Behörden behindern bis heute Forschungsarbeiten, vertuschen die Geschichte ihrer Region, statt eine öffentliche Auseinandersetzung und Aufarbeitung zu suchen.

Nach längerem peinlichem Gezerre im Bruttiger Gemeinderat wurde in den achtziger Jahren auf dem Friedhof der Gemeinde ein Gedenkstein errichtet. Leider trägt er eine irreführende und sachlich problematische Aufschrift. Ein Gedenkstein auf dem Treiser Friedhof erinnert seit Mitte der 1990er Jahre an die Opfer der Lager. Dass auch dieser Stein eine unkorrekte Inschrift trägt, haben aufmerksame Bürger kurz vor seiner Fertigstellung noch eben verhindern können. In der Fremdenverkehrsstadt Cochem sucht man bis heute vergeblich nach einem sichtbaren Zeichen der Erinnerung.


Sehen Sie auch die SWR-Dokumentation, die der Südwestfunk in Kooperation mit Ernst Linde-Heimes 2020/2021 erarbeitete.
Klicken sie dazu bitte das Bild an. ©SWR


 

 

 

 

 

 


Mehr zum Thema können Sie nachlesen in den Büchern:

  • Ernst Heimes: Ich habe immer nur den Zaun gesehen, überarbeitete und erweiterte Neuausgabe, Rhein-Mosel-Verlag, Zell 2019
  • Ernst Heimes: Schattenmenschen 2. Auflage, Brandes & Apsel Verlag, Frankfurt 2005
  • Ernst Heimes: Bevor das Vergessen beginnt - Nachermittlungen zum KZ Außenlager Cochem, Rhein-Mosel-Verlag, Zell 2019

  • Direkt zu bestellen unter info[at]buchhandlung-heimes.de


Copyright: Ernst Linde-Heimes
Die Verwendung von Texten oder Abbildungen dieser Online-Dokumentation in schriftlicher oder digitaler Form, sowie deren Nutzung im öffentlichen Vortrag bedürfen der ausdrücklichen Zustimmung des Verfassers.


Quellennachweis und Quellenverzeichnis:

Quellennachweis:

  • NS 4 Na, R3/331, R7/1214; Bundesarchiv Koblenz
  • Nachweisung über Grabstätten der VG Cochem-Land und
    der VG Treis-Karden
  • Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Koblenz
  • Rastatt-Urteil vom 31. Juli 1947
  • Allainmat: Auschwitz en France, Paris 1974
  • Aussagen befragter Zeitzeugen
  • Fotos von Heinrich Wickert unter http://www.scrapbookpages.com/DachauScrapbook/Contents.html

Quellenverzeichnis:

  1. NS 4 Na, R3/331, R7/1214; Bundesarchiv Koblenz
  2. Ernst Heimes: Ich habe immer nur den Zaun gesehen - Suche nach dem KZ-Außenlager Cochem
    Koblenz, Verlag Dietmar Fölbach, 2. Auflage 1992, Seite 55
  3. Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Koblenz
  4. Heimes: Zaun, Seite 13
  5. ebd. Seite 55
  6. Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Koblenz
  7. Heimes: Zaun, Seite 56
  8. ebd. Seite 124
  9. ebd. Seite 123
  10. ebd. Seite 68
  11. ebd. Seite 67
  12. Comite National pour L' erektion et la conservation d'un Memorial de la Deportation au Struthof (Hrsg.), K.Z. Lager Natzweiler Struthof, Nancy, 1982, Seite 75
  13. Heimes: Zaun, Seite 70
  14. mündlich überliefert
  15. Heimes: Zaun, Seite 127
  16. ebd. Seite 127
  17. ebd. Seite 200
  18. ebd. Seite 211
  19. Ernst Heimes: Schattenmenschen, Frankfurt, Brandes und Apsel Verlag, 1996, Seite 89
  20. Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Koblenz
  21. ebd.
  22. Heimes: Zaun, Seite 211
  23. Nachweisung über Grabstätten der VG Cochem-Land und
    der VG Treis-Karden
  24. Rastatt-Urteil vom 31. Juli 1947

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